Der ERP Softwareeinkauf – die Vorbereitung auf eine OP am offenen Herzen
Als langjährige Vertriebsexpertin für Unternehmenssoftware habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich Firmen aus dem deutschsprachigen Mittelstand einer Vielzahl von ERP – Anbietern gegenüber gestellt sehen, die eine völlig andere Sprache sprechen und sich in einer dem Kunden fremden Welt bewegen. Aber wie soll ein mittelständisches Unternehmen ein geeignetes Werkzeug (und nichts anderes ist ERP Software) einkaufen, wenn das Gegenüber Fachchinesisch spricht und sich nicht in die Karten schauen lässt?! Oder schlimmer noch, die Anforderungen eines mittelständischen Unternehmens ignoriert werden, was leider häufiger vorkommt als man denkt. Aus diesem Grund habe ich mich als verbandsgeprüfte Sachverständige für Vertriebsprozesse im Investitionsgütervertrieb dazu entschlossen, in diesem Blog Alltagsthemen aus dem ERP Softwarevertrieb aufzugreifen. Damit Sie lieber Leser, hinter die Kulissen von Bits und Bytes schauen und so Ihren ERP Softwareeinkauf auf Augenhöhe mit dem Anbieter absolvieren können. Ich werde in lockerer Abfolge die Bits-und Bytes Sprache der Anbieter in „Mittelstandsdeutsch“ übersetzen; Vertriebstaktiken auf dem Markt, mit denen Sie konfrontiert werden, erklären; mögliche Fehlerquellen im Einkauf zum Beispiel bei den Lizenzmodellen aufzeigen und Beispiele aus meiner Praxiserfahrung demonstrieren.
Das heutige Thema behandelt Ihren Bedarf und die Wahrnehmung auf der „anderen Seite“:
Sicher ist an irgendeiner Stelle in Ihrem Unternehmen das Wort ERP zum ersten Mal gefallen, meist passiert das beim IT Leiter, der unbedingt „neue Software und Hardware benötigt“. Sie, als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, stehen nun vor einer groben Ausgabenplanung und wissen nicht so recht, ob sich dieses Investment auch rechnet oder gar überhaupt notwendig ist – bisher ging es ja auch ohne diese neue Software. Derweil verbringt Ihr EDV Team oder andere Abteilungen Stunden, Tage und Wochen damit, sich Softwarefunktionen von Anbietern zeigen zu lassen, um Ihnen dann in einem ganztägigen Meeting die drei „Besten“ zu zeigen.
Aufgrund Ihres (noch unkonkreten) Bedarfes wurde bei den kontaktierten Anbietern ein Vertriebsprozess ausgelöst – Sie oder Ihre Kollegen erhalten Präsentationstermine und Anrufe oder E-Mails, sogenannte Wiedervorlagen des Anbietervertriebs, die momentan nur Zeit und damit Geld kosten. Ich habe in der Praxis Fälle erlebt, in welchen diese erste Phase ohne konkreten Bedarf über 14 Monate lang dauerte. Natürlich wissen die Anbieter auch, dass die Anfragen unkonkret sind und beantworten erste Fragen nach den Kosten mit standardisierten Angeboten aus der Schublade, die Ihnen wenig nützen. Sie haben bereits mit Ihrem ersten Schritt Missverständnissen und unpassenden Angeboten für die Lösung Ihres Problems Tür und Tor geöffnet. Der Vertrieb des Anbieters hat Sie jetzt bereits in eine Kundenbewertungsschublade gepackt: Branche, Anzahl Anwender (User), passende Lösung aus der Standardkiste, potentieller Umsatz, der mit Ihnen zu machen ist. Vor allem der potentielle Umsatz ist eine magische Grenze, die Ihnen die kontaktierten Anbieter immer wieder anhaften, auch wenn der konkretisierte Bedarf später eventuell niedriger ist.
Aber keine Sorge, mit einem einzigen Schritt vor dem Beginn der Anbieterauswahl können Sie das verhindern. Zunächst einmal müssen Sie sich im Klaren darüber werden, dass ERP Software nichts anderes bedeutet, als ein Werkzeug zur Umsetzung und Unterstützung bei der Erreichung Ihrer Unternehmensziele. Und dabei ist es am Anfang völlig egal, ob der Knopf der Funktion der Software grün oder lila ist. Vielmehr ist es wichtig intern (!) zu definieren, was Sie mit dem Einsatz des Werkzeugs erreichen wollen. Und hier Sind Sie gefragt als Geschäftsführer, nicht der IT Leiter, der nur Teilziele in seiner Abteilung zu erreichen hat.
Mögliche Ziele für die Einführung der Software sind zum Beispiel die Senkung von Lagerkosten oder die Senkung von Einkaufspreisen durch besseres Lieferantenmanagement die zu einer verbesserten Unternehmensliquidität führen. Wenn Sie diese Ziele mit konkreten Zahlen benennen können, sind Sie für die möglichen Anbieter bestens gerüstet. Sie stellen nämlich damit sicher, nur Softwaremodule einzukaufen, die benötigt werden und liefern sich nicht bunten Funktionspräsentationsschlachten aus.
Gehen Sie am Anfang der Zieldefinition aber noch nicht zu sehr ins Detail. Die Zieldefinition für den Gesamtprozess im Lager, Einkauf oder ähnlichem ist zunächst wichtig, nicht der einzelne Arbeitsschritt, mit dem das später erreicht werden kann.
Eine ERP Einführung ist vergleichbar mit einer OP am offenen Herzen, da die wichtigen Kernprozesse und Arbeitsabläufe während des laufenden Tagesgeschäftes in Software abgebildet werden. Gerade im Mittelstand ist daher eine gute Vorbereitung für das Gelingen der „Operation ERP“ im geplanten Zeit- und Budgetrahmen wichtig. Sie werden keinen Arzt finden, der im Blaumann mal eben schnell den Brustkorb öffnet und ein bisschen hier und ein bisschen da schnippelt und abklemmt und damit das Überleben des Patienten, sprich des Unternehmens gefährdet.
Lesen Sie im nächsten Blogbeitrag was vor der Narkose (der Anbieterauswahl) noch zu tun ist, um sich gut vorzubereiten.
Glossar:
ERP – Enterprise Resource Management, also das Managen von Unternehmensressourcen
Geschäftsprozess – ist das WAS – was genau wird in welcher Abteilung gemacht
Arbeitsablauf – auch workflow genannt – ist das WIE – wie werden die Geschäftsprozesse umgesetzt im einzelnen Arbeitsschritt
Anwender – im Zusammenhang mit ERP ist das der Softwarenutzer, von Anbietern auch User genannt
antje.petzold[@]erp-software-auswahl.de
Der obige Text spiegelt die Meinung des Kolumnisten, Frau Antje Petzold, wider. Der Herausgeber des Blogs www.erp-software-auswahl.de, die Deutrans b.v., übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.